Über die Anfechtbarkeit vorinsolvenzlicher Rechtshandlungen
Seit der Neuregelung der Insolvenzordnung bzw. der Ausrichtung auf das primäre Ziel, das Unternehmen zu sanieren, ist die Insolvenz nicht mehr zwangsläufig mit der Liquidation verbunden. Das Unternehmen kann nun auch unter Eigenverwaltung oder einem Schutzschirmverfahren weiter fortgeführt werden.
Wird allerdings ein Insolvenzverwalter mit der Befriedigung der Gläubiger beauftragt, so ist das Ziel, eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger zu erlangen. Um das zu erreichen, kann und wird er bestimmte Zahlungen und unentgeltliche Leistungen des Schuldners von den jeweiligen Empfängern zurückfordern.
Diese nennen sich anfechtbare vorinsolvenzliche Rechtshandlungen und sind in den §§129-147 InsO geregelt. Voraussetzung für eine Anfechtung ist immer, das eine Gläubigerbenachteiligung vorliegt und der Empfänger von den Zahlungsschwierigkeiten Kenntnis hat. Diese Kenntnis wird unterstellt, wenn bereits Mahnbescheide, Stundungen, Vereinbarungen vorliegen oder auf andere Weise Kenntnis erlangt wurde.
Was kann zurückgefordert werden und welcher Zeitraum ist maßgeblich?
Der Insolvenzverwalter wird sich die vergangenen 10 Jahre anschauen und folgende Rechtshandlungen anfechten:
bis 10 Jahre vor Insolvenzantrag
– Zahlungen, die der vorsätzlichen Benachteiligung der Gläubiger dienen und der Empfänger über drohende Zahlungsunfähigkeit Kenntnis hatte (§133 InsO). Dieser Paragraph ist der weiteste und somit die „Allzweckwaffe“ des Insolvenzverwalters.
Was bedeutet das konkret?
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Eine Kreditlinie läuft in 6 Monaten aus und wird von der Bank nicht verlängert. Um einen Gläubiger, der schon mehrmals gemahnt hat zu befriedigen, zahlt der Unternehmer die Rechnungen. Der Unternehmer aber wußte, das er mit Ablauf der Kreditlinie insolvent wird, und hätte diese Zahlungen nicht leisten dürfen. Er muss ab Kenntnis alle Gläubiger gleich behandeln. Dem befriedigten Gläubiger wird aufgrund der Mahnungen Kenntnis unterstellt, somit liegen die Voraussetzungen der §133 InsO vor und die Rechtshandlung ist anfechtbar und zurückzuzahlen. Dem Schuldner Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung zu beweisen ist nicht ganz einfach, aber auch hier wird dem Schuldner bei Vorliegen von Mahnbescheiden oder Zahlungsverzügen unterstellt, das er von der Situation Kenntnis hatte und eine Benachteiligung in Kauf nimmt. Somit kann praktisch jede Zahlung mit Unregelmäßigkeiten vom Insolvenzverwalter angefochten und nur über den Klageweg geklärt werden.
– Gewährte Sicherheiten im Zusammenhang mit einem Gesellschafterdarlehen (§135 InsO)
Gesellschafterdarlehen sind im Insolvenzverfahren grundsätzlich nachrangig. Zahlungen innerhalb eines Jahres und Sicherheiten innerhalb 10 Jahren vor Insolvenzantrag sind zurückzuerstatten.
Rechtshandlungen bis 4 Jahre vor Insolvenzantrag
– kongruente und inkongruente Deckungen aus §133 InO (Neuregelung aus 2017)
– unentgeltliche Leistungen (§134 InsO)
Unentgeltliche Leistungen sind Schenkungen, Rechteüberlassungen, unentgeltliche Verträge u.ä., die Vermögen aus der Masse entnehmen. Z.b. kann der Verkauf eines Firmenfahrzeuges zu einem Preis unterhalb des Marktwertes als teilweise Schenkung eingestuft und die Differenz eingefordert werden.
Rechtshandlungen bis 2 Jahre vor Insolvenzantrag
– Zahlungen an nahestehende Personen innerhalb 2 Jahre vor Insolvenzantrag sind zurückzugewähren, wenn der Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung beim Schuldner vorliegt und die Kenntnis der Schwierigkeiten beim Empfänger bekannt war. Dies wird bei nahestehenden Personen grundsätzlich unterstellt. (§133 InsO)
Rechtshandlungen bis 1 Jahr vor Insolvenzantrag
– Zahlungen aus einem Gesellschafterdarlehen sind zurückzugewähren (§135 InsO)
Bis 3 Monate vor Insolvenzantrag
– kongruente Deckung (§130 InsO)
Zahlungen, die im 3 Monatszeitraum fällig waren nennt man kongruent. Diese werden anfechtbar, wenn der Gläubiger über die Zahlungsschwierigkeiten informiert war und trotzdem eine Zahlung erhalten hat. Beispiel: die Miete für die Geschäftsräume werden angemahnt und verspätet gezahlt. Eine Kenntnis wird unterstellt und die Mietzahlungen können angefochten werden.
– inkongruente Deckung (§131 InsO)
Zahlungen, die im 3 Monatszeitraun geleistet werden, obwohl diese noch nicht fällig waren, und der Gläubiger Kenntnis hatte nennt man inkongruent. Diese sind immer anfechtbar. Beispiel: der Gläubiger stellt eine Rechnung mit 60 Tagen Zahlungsziel. Er erfährt von den Zahlungsschwierigkeiten des Schuldner und fordert die sofortige Zahlung des Betrages vom Schuldner. Die Zahlung wäre eine inkongruente Zahlung und würde zurückgefordert.
Wie kann man als Schuldner jetzt Handlungsfähig bleiben?
Wenn die Lieferanten von den Zahlungsschwierigkeiten Kenntnis erlangen, wären sämtliche Geschäfte anfechtbar und kein Lieferant wird mehr liefern, das Unternehmen somit Handlungsunfähig.
Um das zu vermeiden, gibt es §142 InsO. Dieser besagt, das keine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, wenn zeitnah zur Zahlung ein gleichwertiger Zugang zum Vermögen stattfindet (Bargeschäft). Die Rechtsprechung duldet hier bis zu 4 Wochen zwischen Leistung und Zahlung. Weiter muss die Leistung zum Erhalt des Unternehmens beitragen.
Beispielsweise ein Einkauf benötigter Waren gegen sofortige Zahlung oder eine Beratungsleistung zur Liquiditätsverbesserung gegen sofortige Zahlung würden als nicht anfechtbar nach §142 InsO gelten.
Dies stellt nur eine Übersicht über die meisten Anfechtungsszenarien da. Im Insolvenzverfahren würde jede einzelne Zahlung untersucht und in Frage gestellt werden.
Würde der Anfechtungszeitraum nicht mit Gesetzesänderung am 05.04.2017 auf 4 Jahre verkürzt?
Sehr geehrte Frau Dropp,
vielen Dank für Ihre Nachfrage. Die Verkürzung bezieht sich nur auf kongruente und unkongruente Deckung.
Sonstige Anfechtungsfälle, die unter diesem Paragraphen anwendbar sind, bleiben bei 10 Jahren.